Find us on Facebook
Startseite

Reiseberichte & Fotos

Die wichtigen Dinge - Durch Bayern zurück nach Österreich. 15.10.2010

Erstaunlich... - Von Italien über die Alpen. 25.08.2010

Die Uhren ticken anders - Quer durch Marokko. 21.06.2010

Das Tor zur neuen Welt - Die Kanarischen Inseln. 30.03.2010

Die Menschen sind der Weg - Am Jakobsweg II. 24.01.2010

Von Geistlichen und Gottlosen, von Gauklern und Geisterdörfern - Am Jakobsweg I. 02.11.2009

Der Mut zur Umkehr - Von Lyon nach Le Puy. 20.07.2009

Momente der Verbundenheit - Durch die Schweiz nach Frankreich. 29.11.2008

Der Reichtum des einfachen Lebens - Tirol, Vorarlberg und Schweiz. 11.10.2008

Der erste Kontakt - Von Wien nach Lienz. 10.09.2008

Erstaunlich... - Von Italien über die Alpen

Verfasst in München, am 25.08.2010

An der ligurischen Küste von Genua bis La Spezia, durch Norditalien und die Schweiz bis nach Österreich

Die Sonne scheint kraftvoll an diesem Morgen, als die Fähre im Hafen von Genoa anlegt. Drei Tage hat die Überfahrt von Tanger gedauert. Zeit, um die ereignisreiche Zeit in Marokko ein wenig nachwirken zu lassen, und Zeit, um meine Vorfreude auf Europa langsam mehr werden zu lassen. Der erste Eindruck auf den Straßen ist überraschend: alt ist er, unser Kontinent! Ein wahrer Kontrast zu Marokko, wo jeder Dritte jünger als 15 Jahre alt ist und nur 4% der Menschen älter als 65 Jahre sind. Erstaunlich, wie deutlich dieser Unterschied schon auf den Straßen erkennbar ist. Ich spaziere gemütlich der Hafenpromenade entlang, lasse mir Zeit zum Ankommen und genieße eine ausgedehnte Mittagspause im Park.

Surfen am Sofa
Dann kontaktiere ich Alessandro, einen „Couchsurfer“. Couchsurfing ist ein internationales Netzwerk von Menschen, die sich gegenseitig eine Couch, also eine Schlafmöglichkeit anbieten. Geld wird dabei keines verlangt, denn die Freude am Teilen reicht als Gegenleistung. Es ist die alte Tradition der Gastfreundschaft ins Internetzeitalter übertragen. Viele, die ihre Couch anbieten, sind auf ihren Reisen rund um die Welt selbst oft herzlich aufgenommen worden. So auch der 28-jährige Ale, mit dem ich einen perfekten Gastgeber erwischt habe. Von unserem Treffpunkt im Hafen spazieren wir gemeinsam durch die Altstadt zu seiner Wohnung. „Früher war es unsere Familienwohnung“, erzählt er, „aber jetzt lebe ich alleine hier. Ich habe also genug Platz, um Leute zu beherbergen. So kann ich ein bisschen zurück- und den Spirit von Couchsurfing weitergeben.“

Ale hat gerade viel Arbeit, und so überlässt er mir für untertags einfach die Wohnungsschlüssel und seinen Computer. Wer einmal einen solch großzügigen Vertrauensvorschuss genossen hat, kommt niemals auf die Idee, diesen auszunutzen. Ich finde, es ist genau dieses zwischenmenschliche Vertrauen, das eine offene und lebendige Gesellschaft zusammenhält. Pflegen wir es! In den nächsten Tagen lernen wir uns besser kennen: bei einem gemütlichen Bier im alten Hafen oder bei einem Abendessen zuhause, wo Ale für mich und zwei weitere Couchsurfer aufkocht. Es gibt köstliche Guacamole und Pasta. Kein Wunder, denn Ale ist Koch auf einer Segelyacht!

Mit dem herzlichen Empfang durch Alessandro ist mein Start in Italien mehr als gelungen. Auch die Logistik hat geklappt, denn einige vorbestellte Pakete sind rechtzeitig bei den Eltern eines Freundes einer Freundin eingetroffen: ein neues Zelt (danke MSR!), neue Bücher (danke Amazon!), neue Schuhsohlen (danke GEA!) und neue Wandersocken, ein Geschenk nachträglich zum Geburtstag (Danke Papa!). Was braucht man mehr zum Glück?

Buddhas Weg
Bevor ich aufbreche, will ich Giulio Cesare Giacobbe kennen lernen. Er war Professor für orientalische Psychologie und Philosophie an der Universität in Genoa. Seit seinem Ruhestand widmet er sich ganz dem Schreiben von Büchern mit so ausgefallenen Titeln wie „Zum Buddha werden in 5 Wochen“ oder „Wie Sie Ihre Hirnwichserei abstellen und stattdessen das Leben genießen“. Humorvoll nähert er sich dabei den Grundgedanken östlicher Weisheit an und extrahiert, was wir davon für ein zufriedenes Leben gebrauchen können. Ich will mehr darüber wissen. Und tatsächlich erwische ich ihn gerade in Genoa, wo er sich inzwischen nur mehr selten aufhält. Er lädt mich für den nächsten Morgen zu sich in den alten Hafen ein, wo er auf einem kleinen Segelboot wohnt.

Die Croissants, die ich zum Frühstück mitgebracht habe, muss ich alleine essen, denn der Professor bevorzugt Weißwein für unser morgendliches Gespräch. Ich habe ihn mir ganz anders vorgestellt, den Kenner der buddhistischen Philosophie. In schwarzen Jeans und schwarzem Poloshirt sieht er weder wie ein Professor noch wie ein Erleuchteter aus. Auch sein Ansatz ist kein spiritueller, sondern ein durch und durch realistischer. „Sieh her“, erklärt er mir, „das, was Buddha eigentlich gelehrt hat, ist keine Religion, keine spirituelle Suche nach einem inneren Gott, sondern es ist ein psychologischer Weg, um unser Leiden aufzuheben. Alles was wir tun müssen, ist, die Realität so anzuerkennen, wie sie ist und ihre Unbeständigkeit zu akzeptieren.“ Soweit stimme ich zu, und der Professor fährt fort: „Es sind unsere falschen Vorstellungen von der Realität, die uns leiden lassen. Alles, was im Kopf passiert, ist nicht real. Unser Denken, unsere Geist hat keine eigenständige Existenz, sondern ist eine Funktion des Gehirns.“ „Auch das Bewusstsein?“, frage ich nach, auf eine der Kernfragen der Neurowissenschaften kommend. „Ja, auch das Bewusstsein.“ Nun kann ich nicht mehr zustimmen, denn die materialistische Erklärung des Bewusstseins hat so ihre Haken, ja überhaupt ist die Frage, was Bewusstsein ist, keinesfalls geklärt.

Trotz so mancher Meinungsverschiedenheit diskutieren wir den ganzen Vormittag angeregt und ich freue mich über die vielen Denkanstöße. Erstaunlich: selbst 2500 Jahre nach Buddha lässt sich immer noch vorzüglich über seine Lehren diskutieren! Der Professor verrät mir auch viel Wissenswertes über die Geschichte der Stadt, als die Genoveser die größten Seefahrer der Welt waren. „Fast food“, so meint er, als er mich zum Abschluss in eine berühmte Imbissbude am Hafen einlädt, „ist keine Erfindung der Amerikaner, sondern das gab es hier schon im Mittelalter, für die viel beschäftigten Hafenarbeiter.“ Ich grinse und genieße die frittierten Sardinen – mit einem Glas Wein.

Sich treiben lassen in Ligurien
Bei bestem Wetter – besser gesagt bei großer Hitze – lasse ich am nächsten Tag den Hafen von Genoa hinter mir. Ich will die ligurische Küste entlang bis nach La Spezia wandern. Das ist zwar etwa eine gute Woche Umweg, aber die berühmte „Cinqueterre“ lockt mich. Schon von der Fähre hatte sich das bergige Panorama des Appennin abgezeichnet, dementsprechend geht es auch an der Küste auf und ab. Da werden Erinnerungen an die Kanarischen Inseln wach... Aber die Lösung ist einfach: Je anstrengender das Gelände und die Temperaturen, desto langsamer werde ich. Schließlich treibt mich ja nichts (äh, hab ich gesagt, ich will nach Hause?) und die tiefblauen Schotterstrände verlocken zur Abkühlung von Füßen und Kopf. Außerdem läuft die Fußball-WM. Es erfordert Geschick und Zeit, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um ein paar Spiele zu sehen.

Die Wanderung an der ligurischen Küste ist einfach fabelhaft. Obwohl im Sommer viele Städter aus dem nahe gelegenen Mailand ans Meer strömen, hat man hier nicht der Versuchung nachgegeben, große Hotelkomplexe zu bauen. Stattdessen teilen sich die Urlauber auf unzählige kleine Pensionen und Hotels auf, die mitten in malerischen Ortschaften liegen. Camogli ist einer der Orte, die mich besonders verzaubern. Die wunderschöne Altstadt beginnt gleich am beschaulichen Strand, an dessen Ende eine kleine Kirche direkt neben dem Wasser steht. Entlang der Strandpromenade laden Cafes, Restaurants und Eisdielen zum Besuch ein, aber keineswegs aufdringlich oder geschmacklos, sondern sympathisch und abwechslungsreich. Gelati, gelati! Was braucht man mehr zum Glück?

Ein paar Orte weiter, in Chiavari, sitze ich eines Mittags im Park bei der Jause. Ich freue mich über die Packung Honigwaffeln, die man mir im hiesigen Bioladen geschenkt hat. Gegenüber auf der Parkbank sitzt ein älterer Herr, dem ich eine Waffel anbiete. Wir kommen ins Gespräch – wie so oft mit jemandem unterwegs. Antonio stammt aus England, schon seit vielen Jahren kommt er mit seiner Frau immer wieder nach Italien, dessen Kultur und Lebensart er sehr schätzt. Ich erzähle ihm von meiner Wanderschaft und meinen Erfahrungen mit dem einfachen Leben. „Ja“, sagt er, „ich habe dich gesehen, wie genussvoll du vorher das Stück Käse mit Brot verzehrt hast. Genauso wie die Italiener, das ist es, was mir so gefällt!“ Bevor ihn seine Frau zum Mittagessen abholt, kommt er mit einem 20-Euro-Schein zu mir herüber: „Hier für deinen Weg. Alles Gute und komm gut nach Hause!“ Erstaunlich, mit welch kleiner Geste eine so wohlwollende Geste der Großherzigkeit ausgelöst werden kann. Schön, oder?

Auf in den Norden
Bei La Spezia verlasse ich die Küste und stürze mich in die Berge. Fantastisch! Volle acht Tage bewege ich mich bis Piacenza ausschließlich auf Wanderwegen. Dort lasse ich den Appennin hinter mir und die Po-Ebene weitet sich vor mir aus. Das ist ein weniger spektakuläres Wandergebiet, dafür gibt es große Hitze und unerträgliche Gelsen. Von Crema bringt mich der große Fluss Serio in die schöne Stadt Bergamo am Südrand der Alpen. Ich bin reif für eine Pause, aber meine Freunde vor Ort können mich nicht unterbringen, da just mit meiner Ankunft ihr Baby auf die Welt gekommen ist. Das passiert mir nun schon zum zweiten Mal auf meiner Wanderung...also gebt euch in Acht vor dem wandernden Storch!

Die Gelegenheit ist gut für Plan B: nämlich ein befreundetes Paar in Songavazzo zu besuchen, darauf hatte ich ohnehin gehofft. Dieser kleine Ort liegt weiter oben im Serio-Tal in den Bergen. Unsere Wiedersehensfreude ist groß, und Marco und Isabella nehmen mich zu meiner Freude für ein paar Tage auf. Die beiden sind eine große Inspiration für mich. Anstatt beruflichen Karrieren und dem Geld nachzujagen, haben sie sich für ein einfaches Leben nahe der Natur entschieden. Isabella hat die Erwerbsarbeit komplett aufgegeben und bewirtschaftet stattdessen einen Acker, den sie gemeinsam mit Marco von der Gemeinde gepachtet hat.

Selfmade Woman
„Früher war ich zornig auf unsere Gesellschaft, die so große Mengen an Plastikprodukten verwendet, ohne über die Konsequenzen nachzudenken“, erzählt Isabella. „Dann merkte ich, dass ich mit meinem Zorn nichts verändern konnte. Denn wer die Welt verändern will, muss den Mut haben, sein Herz zu öffnen und das Licht herausstrahlen zu lassen. Es ist die positive Energie, die ich durch meine Lebensweise und bei meiner Arbeit am Feld gewinne, die dann auf andere abstrahlt und sie ´kontaminiert´.“ Angesteckt von dieser Philosophie helfe ich einen Tag am Feld mit, wo Obst, Gemüse und Kräuter sprießen. Isabellas vegetarische Küche ist ein Hochgenuss. Es gibt einfach nichts, was nicht selbst gemacht ist. Auch Waschmittel, Seife und eine ganze Palette an Naturheilmitteln stellt sie hauseigen her. Ich staune wieder einfach nur.

Hoamatlaund
Von Bergamo geht es voll hinein in die Alpen. Über die Bergamasker Alpen und das Valmalenco erreiche ich die Schweiz. Wer so wie ich noch keine Vorstellung vom Engerdin-Tal hatte, würde ebenso überwältigt sein. Idyllische Seen auf fast 2000 Meter Seehöhe gelegen, umrahmt von gewaltigen Bergketten. Einfach wunderbar! Doch dann kippt das Wetter, eine Schlechtwetterfront naht. In der Nähe des Silsersees schlage ich mein Zelt für die Nacht auf, als der Regen kommt. Er hält 30 Stunden an, und so verlasse ich tags darauf das Zelt nur zum Wasserholen und zum Wasserlassen. Ein feuchtfröhlicher Tag, aber nach den vielen Höhenmetern tut eine Pause gut. Auf den Gipfeln mag es schneien, doch im warmen Schlafsack bleibt es gemütlich.

Nach Davos und Klosters kommt die österreichische Grenze immer näher. Als ich am „Schweizertor“ nach fast einem Jahr wieder österreichischen Boden betrete, kommt ein Schwall an gemischten Gefühlen hoch. Freude über die Heimkehr, aber ebenso ein bisschen Traurigkeit, dass auch diese großartige Zeit bald ein Ende haben wird. Vor allem spüre ich aber wieder dieses große Gefühl der Dankbarkeit für alle schönen Erlebnisse und Begegnungen. Noch immer packt mich der Zauber der Natur, die Herzlichkeit der Menschen unterwegs und das unvergleichliche Gefühl der Freiheit. Ja, die Intensität auf meiner Wanderung ist auch nach so langer Zeit noch immer da. Erstaunlich? Ich finde nicht.

Bis bald, Euer Reinhold.

Bookmark and Share

Einige Impressionen