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Der erste Kontakt - Von Wien nach Lienz. 10.09.2008

Der erste Kontakt - Von Wien nach Lienz

Verfasst in Lienz, am 10.09.2008

900km durch Niederösterreich, Burgenland, Steiermark, Kärnten und Osttirol

Es war ein guter Start. Die Sonne lachte über dem Stephansdom  und viele Freunde waren gekommen, um uns zu verabschieden. Euphorisch und aufgeregt grinsten Gregor und ich in die Kameras, die unseren Aufbruch dokumentierten. Was würde auf uns zukommen? Würde es Probleme geben? Wohin würde die Reise gehen?

Für mich begann diese Reise am 28. Juni 2003. Ich las zum ersten Mal von Gregor Sieböck in einem Zeitungsartikel, der einen Tag vor seiner Abreise erschien. Zu Fuß von Bad Ischl nach Tokyo, was für ein Abenteuer! Auf Anhieb war ich von der Idee begeistert, und ich wäre am liebsten sofort mitgegangen. Aber es sollten noch Jahre vergehen, bis ich selbst den ersten Schritt wagte. Inspiriert von Gregor entdeckte ich vor drei Jahren die Faszination „zu Fuß gehen“ wieder und wanderte mit meinem besten Freund Sigi vom Studienort Graz zu mir nach Hause nach Waxenberg im Mühlviertel. Ein Jahr später begleitete ich Hubert, einen guten Freund und Studienkollegen von Graz nach Innsbruck, der auch zu Fuß „hamgeh“ wollte. Ich entdeckte dabei nicht nur die Schönheit und die Größe des fantastischen Landes Österreichs,  sondern auch, wie wenig ich eigentlich brauchte, um glücklich zu sein.

Das Treffen mit Gregor und die entstandene Freundschaft sind wichtige Schritte in meiner Entwicklung gewesen. Ich habe begriffen, dass ich selbst die Veränderung sein muss, um etwas in der Welt zu ändern. In den letzten zwei Jahren habe ich mich intensiv mit meinem eigenen Lebensstil beschäftigt. Viele Veränderungen hin zu einem ökologischeren Leben sind mir gelungen, bei anderen war es schwer bis unmöglich. Ich frage mich, warum es so schwierig ist, die richtigen Entscheidungen zu treffen und danach zu handeln. Wir wissen so viel darüber, wie unser Handeln die Erde zerstört, und schaffen es trotzdem nicht, gegenzusteuern. Ist es einfach nur Gier, Ignoranz und Trägheit? Fehlt uns das notwendige Bewusstsein? Auf diese Fragen wollte ich am Weg nach Antworten suchen.

Die Reise meines Lebens
Und nun stand ich auf dem Stephansplatz im Herzen Wiens, um gemeinsam mit Gregor auf die Reise meines Lebens zu gehen. Wir hatten die Wanderung Wegkreuzungen genannt, um uns unterwegs von der Natur, von Menschen und von Ideen inspirieren zu lassen. Mehrere Monate hatten wir in intensiver Arbeit die Tour vorbereitet, endlich war es soweit. Ich war bereit. Es ging los und mein Herz tanzte.

Am ersten Tag wanderten wir in Begleitung unserer Freunde durch Wien. Nach und nach verabschiedeten sie sich, und bis zum Abend blieben nur mehr Gregor, Martin und ich übrig. Nach einer traumhaften Nacht in der Perchtholzdorfer Heide bekamen wir schon am nächsten Tag eine wichtige Lektion erteilt. Wir wollten unbedingt nach Baden, um unseren Freund Hari zu besuchen. Nur mit einer schlechten Karte ausgerüstet, verirrten wir uns schon am Morgen in den grünen Wäldern des Naturparks Föhrenberge. Als wir endlich aus dem Wald in die Weinberge kamen, sahen wir das gleiche Bild wie am morgen: den Turm der Perchtholzdorfer Wehrkirche! Noch lachten wir und wanderten weiter, um einen Freund zu treffen, der den Nachmittag mitwandern wollte. Schon bald sahen wir ein, dass wir den vereinbarten Treffpunkt nie zur richtigen Zeit erreichen würden, denn der Weg war weiter als gedacht. Wieder ein Umweg umsonst. Am Nachmittag verflog dann der letzte Rest an Freude, als wir bei brütender Hitze entlang einer Bundesstraße marschierten und die Autos vorbeibrausten. So hatten wir uns das Wandern nicht vorgestellt. Noch einmal verfehlten wir eine Abzweigung im Wald, bevor wir müde und erschöpft endlich den Kurpark Baden erblickten. An diesem Tag wurde mir eines klar: Je mehr wir an unser Ziel denken und je schneller wir es erreichen wollen, desto leichter vergessen wir, die Blumen auf dem Weg dorthin zu bewundern. Ich will mir die Zeit für den Weg nehmen,  denn nur so entstehen die magischen Momente und Begegnungen, für die wir unterwegs sind.

Ehrengäste im Theater
Solche magische Begegnungen erlebten wir bisher viele, so auch im Mittelburgenland. Eines Abends erreichten wir müde einen Ort namens Unterrabnitz. Wir hatten einen anstrengenden Tag hinter uns und freuten uns auf das Abendessen, dessen Zutaten wir den ganzen Tag am Rücken getragen hatten. Es sollte Pilzsoße, Kartoffel, Eierspeise, Käse und Wein geben, aber noch fehlte uns ein Lagerplatz für die Nacht. Gerade kamen wir in den Ort, als uns schon eine Einwohnerin fragte, ob sie uns helfen könnte. Auf unsere Anfrage nach einem Platz zum Schlafen holte sie den Bürgermeister. Willi bot uns nicht nur mehrere Plätze zum Campieren an, sondern nahm sich für uns den vollen Abend und auch den Vormittag des nächsten Tages Zeit, um uns wie Ehrengäste zu behandeln. SPITZE! Es war ein wunderbares Gefühl, so willkommen zu sein. Er zeigte uns die außergewöhnliche Arbeit der Gemeinde, in der wir unerwartet gelandet waren. Das Engagement geht in viele Bereiche: von Energie, Wasser, Naturschutz, Jugend, Kunst, Theater, Raumplanung, Geschichte und und und. Beeindruckend! Diese Begegnung gab uns wieder die volle Kraft, unseren Weg weiter zu gehen! Nebenbei übernachteten wir unter freiem Himmel auf dem besten Schlafplatz der Tour: auf der Theaterbühne! EIN MEISTERSTÜCK!

Schönes Wochenende
Auf dem Weg von Villach Richtung Weißensee wanderten wir einen Tag der Drau entlang. Die Sonne strahlte, und am Morgen waren wir Erwin begegnet, der uns spontan auf ein Abendessen im nächsten Ort eingeladen hatte. Voller Vorfreude darauf marschierten wir ausgelassen durch die Landschaft. Als wir dann für das Mittagessen Kartoffel fanden, die nach der Ernte einfach so am Wegesrand liegen geblieben waren, war unsere Stimmung nicht mehr zu überbieten. Es war magisch, wir waren einfach im „Fluss“. Kurz vor Paternion holte ich Sprit für meinen MSR-Kocher bei einer Tankstelle, die zu meinem Glück gerade noch offen hatte. Erneut froh über die glückliche Fügung verabschiedete ich mich mit einem kräftigen „Schönes Wochenende“. Einige Zeit später am Weg zurück durchfuhr es mich: Es war Montag.

Inseln im Nebelmeer
Nach dem Weißensee kamen wir in die Berge der Kreuzeckgruppe. Wir verbrachten zwei inspirierende Tage bei  Michi Schwingshackl (www.findthebase.org), der diesen Sommer auf der Steinwander Hochalm Schafe hütete. André, ein Freund, der für ein paar Wochen mit uns wandert, und ich nutzen die Gelegenheit, noch ein paar Tage die stille Schönheit der Berge zu geniessen, während Gregor bereits nach Lienz voraus gegangen war. Wir schliefen im Freien am Fuße des Hochkreuzes auf einer Alm, die der Nebel über Nacht völlig eingedeckt hatte. Am Morgen war der Himmel wieder blau, und ausgeruht stiegen wir zum Hochkreuz auf. Am Gipfel überwältigte uns das Panorama, das vor uns lag. GRANDIOS! André und ich jubelten und umarmten uns. Das Drautal lag im Nebelmeer, und die Spitzen der Lienzer Dolomiten ragten wie dunkle Inseln aus dem „Wasser“. Ich dachte ans Meer, an Patagonien und die Sehnsucht nach der weiten Welt packte mich wieder. „Was die Erde doch für ein schöner und merkwürdiger Planet ist“, sagte ich zu André, während wir staunend dieses Wunder betrachteten.

Am frühen Nachmittag erreichten wir unser Tagesziel, die Gerbershütte, und freuten uns auf einen gemütlichen Nachmittag. Karin, die Hüttenwirtin spielte gerade mit der Gitarre, als wir ankamen, aber schon nach fünf Minuten hatten wir sie überredet, einen Kuchen zu backen. Und so verbrachten wir den Nachmittag gemeinsam in der Küche, backten Kuchen, tranken Kaffee, sangen Lieder und erzählten uns Geschichten. Es war wunderbar! Am Abend fragte uns Karin, ob wir nicht Bier von der weiter unten gelegenen Alm herauf tragen könnten, da der Vorrat am Tag zuvor aufgrund einer steirischen Wanderergruppe zu Neige gegangen war. „Klaro“, sagte ich, der ich immer für solche Missionen zu haben bin, und stieg trotz Regens ab zur Weneberger Alm ab. Es war bereits stockfinster, als ich drei Stunden später schwitzend mit einem Rucksack voll Bier zur Gerbershütte zurückkam. Die Stube war inzwischen gefüllt mit Wanderern, die das restliche Bier schon vernichtet hatten. Mit donnerndem Jubelgeschrei, das bis in die Dolomiten zu hören war, bedankten sie sich für den Einsatz. Welch eine Freude! Wir feierten, und dieses besondere Gefühl der Zufriedenheit durchströmte mich, wieder einmal die Welt im Kleinen gerettet zu haben… :-)

Wir haben alle die gleiche Zeit
Es ist schon interessant zu sehen, wie manche Menschen reagieren, wenn ich ihnen von unserer Wanderung erzähle. „Das geht ja nicht“, „Ja, wenn man die Zeit hat“ oder „Geht doch was arbeiten“ gehören zu den spontanen Kommentaren. Es scheint, als hätten die Menschen völlig die Zeit aus ihrer Kontrolle verloren. „Haben wir nicht alle die gleiche Zeit?“, hat Heini Staudinger im letzen Brennstoff-Heft zu unserer Wanderung geschrieben. SO IST ES! Jeder von uns hat die gleiche Zeit, daher liegt es in unserer gänzlich eigenen Verantwortung, wie wir sie nutzen. Ja, es geht. Ja, ich nehme mir die Zeit zu wandern!

Seien wir froh, auf einem privilegierten Kontinent in einer privilegierten Zeit geboren zu sein. Nutzen wir unsere Möglichkeiten, leben wir unsere Träume! Erfüllen wir unsere Mission! In Irland heißt es: Gott hat Dir ein Gesicht gegeben, lächeln musst du selbst. Du liebe Güte, und was für ein Gesicht wir haben! Mit meinem romantischen Herz sehe ich eine Welt, in der wir Menschen in Freiheit mit der Natur und nicht gegen sie leben, und wir uns über Berge und Täler in ferne Länder begeben, um einander in Freundschaft zu begegnen und voneinander zu lernen. Dazu müssen wir einander gegenseitig vertrauen und wieder lernen, dass wir nicht permanent im Wettbewerb stehen – jeder gegen jeden.

Erst wenn wir Vertrauen haben und ein wenig von unserem krankhaften Sicherheitsdenken loslassen, erst dann kann Neues entstehen und unsere Träume werden in Erfüllung gehen. Ich habe losgelassen, und spüre mehr und mehr, wie mein Herz sich öffnet und wie meine Flügel sich ausbreiten. Der Himmel ist blau: ein guter Tag zum Fliegen.

Wir sehen uns da draußen,
Euer Reinhold.

PS: Aus meiner Gutenacht-Lektüre, weil es so gut passt:

Vom Geben
Denn was ist Eure Habe anderes als Dinge, das ihr aus Furcht, ihr könntet sie morgen benötigen, aufbewahrt und bewacht?
Und morgen, was wird das Morgen dem übervorsichtigen Hund schon bringen,
der Knochen im weglosen Sand vergräbt, während er den Pilgern zur heiligen Stadt folgt?
Und was ist Furcht vor der Not denn anderes als Not?
Ist nicht die Angst vor Durst, wenn euer Brunnen voll ist, erst der Durst, der unlöschbar ist?

(Khalil Gibran, Der Prophet)

 

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Einige Impressionen