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Der Mut zur Umkehr - Von Lyon nach Le Puy

Verfasst in Waxenberg, Österreich, am 20.07.2009

Vom Zentrum von Lyon bis ins Krankenhaus von Le Puy

Wie ihr wisst, ist übermäßiges Planen unvernünftig, denn je planmäßiger wir vorgehen, desto wirksamer trifft uns das Unvorhergesehene. Und so geschah es kürzlich, dass meine Wanderpläne durch eine Lungenentzündung revidiert wurden, die meine Reise in den letzten Wochen entscheidend bestimmt hat. Ich habe zwar dieses Mal nicht weite Distanzen zurückgelegt in den vier Wochen, in denen ich unterwegs war, aber erlebte trotzdem eine recht intensive Zeit. Hier ein Bericht der jüngsten Ereignisse in Frankreich, aber vorher ein kurzer Blick zurück auf die Monate während des Winters und des Frühjahrs.

Bis Lyon war ich letztes Jahr gekommen, bevor ich Mitte November in die Winterpause ging. Gregor und ich waren bereits seit September auf eigenen Wegen unterwegs, und es wurde klar, dass eine weitere gemeinsame Arbeit unter „Global Change“ schwierig werden würde. Gregors Pläne für 2009 hatten sich stark geändert, und wir merkten, dass wir unsere Freiräume für die Entwicklung unserer Ideen brauchten. Einerseits war ich enttäuscht, dass unser Traum von einer langen gemeinsamen Tour so schnell zu Ende war. Die Realität unterwegs hatte gezeigt, dass das tägliche Zusammensein seine Schwierigkeiten mit sich brachte. Andererseits konnten wir auf eine erlebnisreiche Zeit mit vielen schönen Augenblicken zurückblicken. Wir hatten gut gearbeitet, um unsere Botschaft hinauszutragen, und wenn ich zurückdenke, erfüllt mich jede dieser Erfahrungen mit tiefer Freude. Aber nun ging es in Eigenregie weiter, eine spannende neue Zeit begann. Zuerst zog jedoch der Winter ins Land.

Ein langer und dunkler Winter
Ich nutzte die Winterpause, um mir ein Budget zu erarbeiten für die Fortsetzung der Wanderung. Denn nach den eingehenden Erlebnissen spürte ich, dass meine Wanderzeit noch nicht vorüber ist. Es wurde ein langer und arbeitsreicher Winter. Natürlich konnte ich meine Finger nicht von ein paar Nebenaktivitäten lassen, und so ergaben sich wieder einige recht stressige Monate. Es wunderte mich, wie schnell die Ruhe und Gelassenheit, die ich während des Wanderns entwickelte, wieder abgelöst wurden von Hektik und Anspannung. Wie schafft man es nur, diese Gelassenheit im Arbeitsalltag zu bewahren?

Doch wie jedes Jahr im Frühjahr stieg meine Energie enorm mit Sonne und Temperatur, während ich wieder die Vorbereitungen begann. Neben der Arbeit werkten wir eifrig an der neuen Homepage RYTZ.AT, damit sie rechtzeitig zum Start fertig wird. Wieder fiel ein Haufen Arbeit an bis zum endgültigen Aufbruch: die Ausrüstung auf Vordermann bringen und für den Sommer optimieren, aus der vorübergehenden Wohnung ausziehen, Freunde, Kollegen und Familie verabschieden und alle organisatorischen Dinge unter Dach und Fach bringen. Auch der Vortrag, den ich bei mir zuhause in Waxenberg kurz vor der Abreise machte, war vorbeitungsintensiv, aber gelang fabelhaft. Erstaunlich eigentlich, wie lange es immer dauert, bis ich alles zusammen habe und loslassen kann. Aber dann endlich los.

Weg aus dem Wachstum
Erst nach ein paar Tagen im Ausland entspannte ich mich. Nach und nach wurde ich mir sicher, dass ich nichts vergessen hatte. Ich nutzte den Aufenthalt in Lyon, um ein paar alte Freunde zu besuchen aus der Zeit meiner Diplomarbeit. Außerdem schaute ich nochmals kurz in der Redaktion der „Décroissance“ vorbei, die ich bereits im Herbst besucht hatte. Diese Zeitung mit dem Untertitel „Journal der Lebensfreude“, die in der Zwischenzeit eine Auflage von 60.000 Exemplaren hat, widmet sich der wichtigen Aufgabe, Kritik am Wachstumsmodell unserer derzeitigen Wirtschaftsweise zu üben. Dauerhaftes Wirtschaftswachstum ist in einer Welt mit begrenzten Ressourcen unmöglich und steht daher im Widerspruch zu einer echten und ehrlichen Umweltpolitik. Der theoretische und politische Diskurs der Wachstumskritiker dreht sich um die dringende Frage, wie wir einen Ausweg finden aus dieser „Religion“ des Wachstums, der Ökonimisierung aller Lebensbereiche und dem unhinterfragten Konsumismus einer mediengesteuerten Einheitsgesellschaft.

Für die ökologische Wende ist eine kontinuierliche Wachstumsrücknahme (= Décroissance) zwingend notwendig, da der Ressourcenverbrauch weitestgehend gekoppelt ist an die Höhe des Wirtschaftsvolumens. Auf individueller Ebene heißt das eine Vereinfachung unseres Lebensstils statt immer „mehr von allem“ und mehr Lebensfreude statt grenzenlosem Materialismus. Genau das ist ja das Thema der Wanderung, nur dass die Décroissance-Bewegung diesen Gedanken theoretisch weiterführt und zu einem politischen Programm macht. Ein äußerst spannendes Thema, das in Frankreich heiß diskutiert wird und auch bei uns breiten Einzug finden sollte.

Zurück am Start
An einem heißen Sommertag stand ich dann wieder auf der Brücke „Pont Morand“, wo ich im November Halt gemacht hatte. Ich hatte mir den Wanderstock wieder geholt, der über den Winter in Lyon geblieben war, und brach Richtung Westen auf. Das hieß, auf den Hügel hinauf zu der von weitem ersichtlichen Basilika „Notre Dame de Fourvière“. Von dort noch ein letzter Blick auf das Panorama hinter mir, dann ab durch die weiten Vorstädte hinaus. Endlich wieder unterwegs, was für ein herrliches Gefühl! Nach der ersten Nacht im Zelt in einer Kirschenplantage (zur Kirschenzeit!) erreichte ich am darauf folgenden Tag „Saint Galmien“, eine kleine Stadt bereits voll auf dem Land.

Es ist Samstag später Nachmittag, von weitem höre ich Musik. Ich biege um die Kirche und schaue runter auf den Hauptplatz. Es ist die Ortmusikkapelle, die ein Konzert gibt vor voll versammeltem Publikum. Ich erkundige mich, was der Anlass sei und man sagt mir, es ist „Fête de la musique“. An diesem Musikfeiertag werden im ganzen Land Bühnen aufgebaut, es gibt eine generelle Auftrittsgenehmigung und jeder der will darf auf den Straßen ein Konzert geben. Ein feiner Brauch, denke ich mir als Musiker. Ich lerne Sophie und Romain kennen, die mich zum Übernachten in ihr Haus einladen. PERFEKT! Später am Abend greift der ortsansässige Friseur zum Elektrobass und lässt mit seiner Band sein Rock´n´Roll-Herz heraus. Mit 60er- und 70er-Nummern heizen sie dem Publikum trotz der Kälte ein, und wir verbringen einen wunderbaren Abend! So wünsch ich mir die Samstag Abende! :-)

Verhängnisvoller Nordwind
Kalter Nordwind bei Temperaturen um die 12 Grad begleitete mich die nächsten Tage übers Land bei gleichzeitig starker Sonneneinstrahlung, denn es war gerade Sonnenwende. Eine gefährliche Mischung, wie sich herausstellen sollte. Kurzärmlig zu kalt, langärmlig zu heiß. Ich merkte, wie sich langsam eine Verkühlung zusammenbraute, bis ich Dienstag beschloss, in eine Herberge zu gehen und ein paar Tage zu rasten. Am nächsten Tag wurde es recht heftig, starkes Fieber stellte sich ein und blieb drei Tage. Der Arzt tippte auf eine grippale Infektion, und verschrieb mir Medikamente und Ruhe. Volle zehn Tage verbrachte ich geduldig in dem kleinen Dorf Valprivas zur Erholung. Dann zog ich nach Retournac, wo ich nochmals einen Arzt aufsuchte, da der Husten immer noch nicht weg war. Keine Sorge, meinte er, ich sei fast gesund. Ich pausierte nochmals einen Tag und wanderte dann optimistisch weiter nach Le Puy. Aber der Husten wurde wieder schlimmer. Wieder ein Arzt, nur dieses Mal ein kritischerer: Die rechte Lunge sei auf jeden Fall NICHT in Ordnung, sagte er, Lungenröntgen und Bluttest unbedingt notwendig. Der Befund des Krankenhauses Le Puy zeigte es dann deutlich: Lungenentzündung in der rechten oberen Lunge. Sie behielten mich gleich dort. Wieder acht Tage Geduld, aber ich war froh, nun eine adäquate Behandlung aufgrund einer guten Diagnose zu bekommen.

Dharma patana mokshanam…
Nun, mit so einer Situation ist nicht zu spaßen. Der Ernst der Lage wurde mir richtig bewusst, als ich einige meiner älteren Stationskollegen hörte, wie sie stöhnend um Luft rangen und denen es wirklich schlecht ging. Von allen Seiten wurde mir eine ausgiebige Erholungsphase empfohlen, also fasste ich den schweren Entschluss, nach Österreich zurückzukehren für die vollständige Genesung. Ich dachte an meine Tante, die mir den „Mut zur Umkehr“ gewünscht hatte, falls es Schwierigkeiten geben sollte. Leicht war´s nicht, aber was soll´s. „Dharma patana mokshanam…“, heißt es in den alten vedischen Schriften aus Indien: „Willst du deine Pflichten in der Welt erfüllen, willst du reich werden, willst du Sinnesfreuden genießen, oder willst du dein Selbst erkennen – stets muss dein Körper gesund dafür sein.“

Lektionen in Geduld
Eines habe ich diesen letzten drei Wochen sicherlich gelernt, und das ist Geduld. Tag für Tag verbrachte ich meist alleine und hoffte auf baldige Genesung. Aber nie verlor ich die Gelassenheit, immer dachte ich daran, dass auch diese missliche Lage vorbeigehen wird. Wieder erfuhr ich selbstlose Unterstützung von vielen Menschen während dieser Zeit. Danielle und Dominic beherbergten und versorgten mich volle zehn Tage in Valprivas, ohne etwas dafür zu verlangen. Sandrine und Cathrin aus der Herberge in Le Puy besuchten mich spontan im Krankenhaus und brachten mir den Rucksack vorbei. Und das Personal auf der Station kümmerte sich freundlich und engagiert um den Ausländer. Ich hatte meine Freude mit den kleinen Dingen: z.B. als es eine herrliche Fruchttulpe als Nachspeise gab mit Himbeeren, Brombeeren und Weichseln. Oder das Feuerwerk zum französischen Nationalfeiertag, das ich in vollem Panorama direkt vom Krankenbett genießen konnte. Außerdem hatte ich mehr als genug Zeit, ein paar interessante Bücher und Französischvokabel zu studieren. Und nicht zuletzt, bin ich beim Sudoku in die Profiklasse aufgestiegen. :-)

Obwohl ich nicht mit einem so baldigen Wiedersehen mit Österreich gerechnet hatte, freue ich mich doch sehr über ein bisschen Gesellschaft nach den anstrengenden Wochen. Ich werde die Zeit nützen, um ein paar andere Dinge anzugehen, ein paar Ideen reifen lassen und vielleicht den einen oder anderen Artikel schreiben. Dennoch hoffe ich, dass ich mich bald wieder bester Gesundheit erfreuen und nach Frankreich zurückkehren kann. Aber die dafür notwendige Zeit nehme ich mir, auch wenn es schon wieder juckt auf den Fußsohlen.

Alles Gute einstweilen und ich hoffe, dass es Euch gut geht. Es grüßt Euch herzlichst, Euer
Reinhold.

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Einige Impressionen