Reiseberichte & FotosDie wichtigen Dinge - Durch Bayern zurück nach Österreich. 15.10.2010 Erstaunlich... - Von Italien über die Alpen. 25.08.2010 Die Uhren ticken anders - Quer durch Marokko. 21.06.2010 Das Tor zur neuen Welt - Die Kanarischen Inseln. 30.03.2010 Die Menschen sind der Weg - Am Jakobsweg II. 24.01.2010 Von Geistlichen und Gottlosen, von Gauklern und Geisterdörfern - Am Jakobsweg I. 02.11.2009 Der Mut zur Umkehr - Von Lyon nach Le Puy. 20.07.2009 Momente der Verbundenheit - Durch die Schweiz nach Frankreich. 29.11.2008 Der Reichtum des einfachen Lebens - Tirol, Vorarlberg und Schweiz. 11.10.2008 |
Von Geistlichen und Gottlosen, von Gauklern und Geisterdörfern - Am Jakobsweg IVerfasst in Leon, España, am 02.11.2009 Am Jakobsweg von Le Puy, Frankreich bis Léon, Spanien „Euer Sohn ist so tot wie die Brathühner auf meinem Teller“, rief der Richter, der den jungen Mann zum Tode verurteilt und hängen lassen hatte. Noch während er sprach, erhoben sich die Tiere mit lautem Krähen. Da glaubte er den Eltern, dass sie bei ihrer Rückkehr aus Santiago ihren unschuldig gehängten Sohn lebend vorgefunden hatten. So wird die Geschichte über die berühmteste Wundertat des „Santo Domingo de la Calzada“ überlieftert. Und noch heute werden zur Erinnerung zwei Hühner in der örtlichen Kirche gehalten. Blumige Legenden, aussergewöhnliche Persönlichkeiten und jede Menge Kunstgeschichte pflastern den Jakobsweg, auf dem ich in den letzten Wochen unterwegs war. Meine Wanderung führte mich entlang der klassischen Hauptroute „Camino Francés“ von Le Puy nach Santiago. Ich wanderte durch die abwechslungsreiche Gegend des französischen Zentralmassivs hinunter bis nach St. Pied de Port am nördlichen Rand der Pyrenäen. Nach der Bergetappe erwartete mich die spanische Provinz Navarra mit weiten herbstlich-braunen Ackerflächen. Überraschend schnell ließ ich Pamplona hinter mir, durchwanderte die Weinberge der Provinz La Rioja und erreichte bald die kastillische Stadt Burgos. Dann durchquerte ich auf langen flachen Geraden die steppenartige Landschaft der „Meseta“ bis nach Léon. Von hier fehlen nur noch 300km bis Santiago, aber es zahlt sich aus, in der kastillischen Hauptstadt ein paar Tage zu pausieren. Genau fünfzig Tage bin ich unterwegs seit Le Puy. Ein guter Moment, um ein paar Zeilen für Euch zu schreiben und mit einem guten „Vino tinto“ anzustossen. Nach den Schwierigkeiten des heurigen Sommers mit der Lungenentzündung freue ich mich doppelt, dass ich gesund und munter durch Frankreich und Spanien unterwegs sein darf. Wegkreuzungen Ich bin mehr als glücklich über den Verlauf der Dinge, denn viel Positives entstand während des Österreichaufenthalts: der Artikel über Wachstumskritik, die FM4- Radiosendung oder das Niederspannung s-Rock´n´Roll-Projekt. Ausserdem nutzte ich ausgiebig die Gelegenheit, mit meinen Patenkindern Mara, Anna und Carina herumzutollen, was uns alle sehr freute. Ja, und viel Freude bereitete mir jetzt auch das Wetter bisher am Jakobsweg, denn es regnete nur fünf Tage. Ein grosses Geschenk! Wie im Mittelalter - Ein buntes Volk unterwegs „Die Landstraße war ein Ort der – beglückenden, belustigenden, beunruhigenden, beängstigenden – Begegnungen“, so beschreibt Ulrich Grober (in seinem geistreichen Buch „Vom Wandern“) die mittelalterlichen Verkehrswege. Unterwegs „war das bunte Volk der bäuerlichen Wanderarbeiter und Schnitter, Hausierer und Zigeuner, Gaukler und Musikanten. Dazu die Heerscharen der Heimatlosen und Entwurzelten: Landstreicher, Prostituierte, Deserteure und entlassene Soldaten, Bettler.“ Die Wanderwege deckten sich mit den Routen der Kaufleute und Fuhrleute, der Studenten und jungen Adeligen auf Bildungsreise und der Angehörigen der Oberschichten auf Pferden und in Kutschen. Bunt ist jedenfalls auch im 21. Jahrhundert das Volk am Jakobsweg. Über 125.000 PilgerInnen aus aller Welt registrierte das Erzbistum von Santiago letztes Jahr, die zu Fuss, mit Pferd, Esel, Fahrrad oder mit dem Bus das Apostelgrab besuchten. So unterschiedlich wie die Herkunft, das Alter und die Beweggründe der Menschen sind auch die Erfahrungen, die ein jeder auf seinem persönlichen Weg macht. Hier ist meine eigene Geschichte von Geistlichen und Gottlosen, von Gauklern und Geisterdörfern. Der Mönch spielt ein paar klassische Stücke, das Konzert wirkt eher wie ein lockeres Improvisieren. Noten braucht er dafür keine, denn wahrscheinlich gibt er die Show täglich. Aber er macht seine Sache gut. Wirklich überrascht bin ich gegen Ende, als er ein fettes „House of the Rising Sun“ anstimmt. Fast ein bisschen anrüchig, dieses Lied in einer Kirche, denke ich. Und während er beim Solo im wahrsten Sinne des Wortes alle Register zieht, segelt ein Vogel majestetisch durchs Gewölbe. Ein besonderer Moment, magisch! Mit dem „1492“-Thema von Vangelis legt er noch einen drauf, spielt lässig mit der rechten Hand und den Füssen weiter, während er mehrmals auf die Uhr an der linken schaut. Noch bevor die Glocke das zehnte Mal schlägt, ist das Konzert zu Ende. Die Arbeit ist für heute getan, morgen kommen wieder neue PilgerInnen. Feierabend. Gottlosigkeit in Navarra „Wenn man sie essen sieht, glaubt man, fressende Hunde oder Schweine vor sich zu haben. Wenn man sie reden hört, erinnert es an Hundegebell. (..) Es ist ein barbarisches Volk, das sich von allen Völkern in Gebräuchen und Wesen unterscheidet, voller Bosheit, von schwarzer Farbe, unansehnlich, verucht, schurkisch, falsch, treulos und korrupt, wollüstig, trunksüchtig, erfahren in Gewalttätigkeiten, unerschrocken und wild, unehrlich und verlogen, gottlos und von rauhen Sitten, grausam und streitsüchtig, kurzum zu jeglichem Guten unfähig, aber Lastern und der Sündhaftigkeit aufgeschlossen. (...) Die Navarreser pflegen mit ihrem Vieh Unzucht zu treiben; man sagt, ein Navarreser hänge ein Schloß an das Hinterteil seines Maultieres und Pferdes, damit kein anderer als er selbst zu ihm Zugang habe.“ Tja, das hebte meine Vorfreude, als ich von St. Pied de Port über die Pyrenäen nach Navarra zog. Ich bin sicher, dass die meisten MittelalterpilgerInnen schlussendlich so positiv beeindruckt waren wie ich. Vielleicht muss man den Basken und Navarresern auch heute noch eine gewisse eigenwillige Seite zugestehen, aber unfreundliche Monster sind sie nicht. Das gleiche trifft ja auch auf uns Mühlviertler zu. :-) Nun, ich traf keinen einzigen lasterhaften Schurken und leider auch keine einzige wollüstige Wilde auf dem Weg durch Navarra, aber immerhin begegnete ich einer Gruppe von Gauklern, und zwar in Pamplona. Gaukler in Pamplona Pilgerversorgung im Geisterdorf Es ist später Nachmittag. Müde wandere ich im blendenden Sonnenlicht auf dem Feldweg dahin. Ich halte Ausschau nach einem guten Lagerplatz für die Nacht, aber mein Gefühl sagt mir, dass ich noch etwas weitergehen muss. Und siehe da, plötzlich kommt mir ein Spaziergänger entgegen. Ich frage ihn, ob es passt, wenn ich hier neben dem kleinen Teich das Zelt aufschlage. Aber er meint: „Warum kommst du nicht mit rauf nach Cirueña? Ich bin selbst Hospitalero!“ Und da ich an diesem Samstag Abend Mitte Oktober der einzige Pilger bin, lädt mich Pedro-Mari nicht nur umsonst zum Schlafen in seine Herberge ein, sondern auch zum Abendessen und Frühstück! Perfekt, ich freue mich riesig über diese Überraschung und wir verbringen einen schönen Abend gemeinsam. Mein Gastgeber erzählt mir, dass er den Jakobsweg drei Mal gegangen sei, bevor er selbst diese kleine Herberge aufmachte. Es sei eigentlich ein Geisterdorf hier, nur 25 Leute lebten das ganze Jahr hier und die alten Häuser verfielen sichtbar. Aber hatte ich da nicht jede Menge neuer Wohnhäuser gesehen, als wir ankamen? Ja, 400 Wohnungen hat man in den letzten Jahren gebaut, aber 300 wurden nie bezogen. Jetzt fällt bei mir der Groschen: darum auch der Golfplatz am Dorfrand! Es passt alles zusammen: ein klassisches Beispiel von Immobilienspekulation und ihre traurigen Auswirkungen. Spanien hat ja ordentlich mitgemischt beim Bauboom. Heute will niemand in den reizlosen Reihenhäusern wohnen, Verkaufsschilder hängen an jedem Haus, aber die Eigentümer bleiben auf den Wohungen sitzen. Naja, irgendjemand wird wohl Geld damit verdient haben. Mit Freude am Weg Liebe zeitlose Grüsse sendet Euch Euer Wanderer
Einige Impressionen |
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