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Momente der Verbundenheit - Durch die Schweiz nach Frankreich

Verfasst in Graz, Österreich, am 29.11.2008

Vom Zürichersee an den Genfer See und bis nach Lyon

Hier stand ich nun. Mitten auf der Brücke "Pont Morand" im Zentrum von Lyon. Neben mir das Rathaus, weiter oben die Kathedrale St. Just, und hinten im Westen "die Zigarre", das berühmte runde Hochhaus im Stadtteil Part-Dieu. Ich hatte es tatsächlich geschafft! Nach fünf Jahren war ich zurückgekommen an den Ort, wo ich meine Diplomarbeit geschrieben hatte. Dieses Mal zu Fuß. Insgesamt 1950 Kilometer. Auf meinen Stock gestützt stand ich da und schaute lange auf die Rhôhne unter mir. Ich dachte an die letzten Wochen, letzten Monate, an die vielen kleinen Momente, die ich erlebt hatte, an die guten und an die schlechten. Es war gut gegangen. Ein tiefes Gefühl der Freude erfüllte mich, und ich musste lachen. Ich grinste in die Stadt hinaus, umgeben vom regen Verkehr der Innenstadt. Ich war einfach dankbar.

Ich hatte mir Lyon als Etappenziel ausgewählt, zum Abschluss einer wunderbaren Wanderung durch Sommer und Herbst. Nun mache ich Winterpause in Österreich, um ein bisschen Geld zu verdienen für das nächste Jahr. Aber auch, um ein bisschen Luft zu holen, über das Erlebte, die Begegnungen und die Inspirationen nachzudenken und über die Veränderungen, die sie in mir ausgelöst haben. Im Frühjahr, wenn die Natur aus ihrer Winterruhe erwacht, möchte ich wieder von Lyon aufbrechen und das Abenteuer in Richtung Westen fortsetzen...

Quer durch die Schweiz
Aber zuerst berichte ich Euch aus den vergangenen Wochen, in denen ich durch die wunderbare Berg- und Seenlandschaft der Schweiz wandern durfte. Gregor und ich hatten zuvor unsere Wanderungen unterbrochen, um unsere Freunde vom Sportladen "Walch für Bewegliche" in Bludenz zu besuchen und gemeinsam einen Vortrag zu machen. Wir verbrachten einen fantastischen Abend, und mit der inspirierenden Rückendeckung all der besonderen Menschen, die gekommen waren, kehrte ich zum Zürichersee zurück. Von Rapperswil ging es über Maria Einsiedeln zum Vierwaldstädtersee, weiter nach Süden über den Brünigpass zum Brienzersee und nach Interlaken, später rein in die französischsprachige Schweiz über Fribourg und Lausanne nach Genf. Oft packte mich die pure Begeisterung, als ich durch diese abwechslungsreiche Landschaft marschierte: Gipfel und Schluchten, Wasser und Wind, Licht und Schatten. Ich kann es Euch empfehlen!  Die Grenze nach Frankreich hatte ich überquert, ohne es zu merken, und schon befand ich mich auf der "Grande Route 65", dem großen Weitwanderweg, dem ich bis zum beeindruckenden Tal der Rhône folgte. Hier bog ich ab in Richtung Westen durch die stimmungsvollen mittelalterlichen Städte Molestel und Cremieu nach Lyon.

Die ersten Schwierigkeiten
Ein guter Freund fragte mich unlängst, ob es den nichts Negatives zu berichten gäbe. Ob uns denn nicht die Kälte schon ordentlich zugesetzt hätte? Nun, wenn es denn schon Negatives gegeben hat (im nach hinein meist nicht mehr tragisch), so war für mich sicher diese letzte Etappe diejenige mit den ersten Schwierigkeiten für Körper und Geist. Zur Kälte: Es hat zwei Nächte gegeben, wo ich im Zelt ein wenig gefroren habe, aber es waren Ausnahmen. Durch das ständige Draußen-Sein stellt sich der Körper gut auf die Temperatur ein. Diese fast vergessene Eigenschaft des Organismus ist interessant in Anbetracht der Tatsache, dass der heutige urbane Mensch 90% seiner Lebenszeit in geschlossenen Räumen verbringt und etwa ein Viertel der Weltenergie für thermische Behaglichkeit aufgebracht wird. Da singe ich laut mit Josef Hader: "Topfpflanzen, geht´s spazieren!!" :-)

Gesundheit ist bei einer weiten Wanderung eine Voraussetzung, wird aber durch die ausgeglichene Bewegung von Körper und Geist auch zur Folge. Ich hatte mir vorgenommen, auf den Körper zu hören, seine Signale zu respektieren und einfach zu rasten, wenn es notwendig sein sollte. Zeit sollte bei der Wanderung kein Limit sein, und so hatte ich Dreiviertel der Reiseapotheke schon nach einer Woche nach Hause geschickt (außerdem zu schwer). Obwohl nach zwei Monaten schon gut auf das Leben draußen eingestellt, war es in der Schweiz soweit. Ich wachte eines Morgens mit einer Verkühlung auf. Entgegen meines Vorsatzes achtete ich nicht sofort darauf und wanderte noch ein paar Tage weiter, bis ich zur Einsicht kam. Dann war es ernst genug und ich musste fünf Tage Pause machen, bis ich mich erholt hatte.

Es war interessant zu erleben, wie schwer es mir fiel, die Signale des Körpers sofort zu beachten, trotz des Vorsatzes. Wahrscheinlich bin ich auch noch Kind unserer Gesellschaft, bei der Leistung das oberste Prinzip ist und Kranksein eine unerwünschte Produktivitätseinbuße. Wir schaffen jedes Jahr mehr Wohlstand, sind aber immer weniger gesund. Ist das Fortschritt? Wir sollten darüber nachdenken! Abgesehen davon durfte ich einmal drei Tage mit Durchfall erleben, nachdem ich bei einem Brunnen Wasser erwischt hatte, das offenbar die Qualität einer Pfütze im Autobahnklo hatte. Aber ich erspar Euch die Details. :-)

Mutterseelenallein
Eine interessante Erfahrung machte ich, als ich in die französischsprachige Schweiz kam. Ich war bisher nur in deutschsprachigem Gebiet gewandert, und so fühlte ich mich am Anfang etwas fremd. Ich war Samstagabend nach Fribourg gekommen, das Wetter war neblig und ich hatte niemanden von Gregors Bekannten erreicht. So verbrachte ich den Abend allein, während sich die Stadt aufs Ausgehen vorbereitete. Als ich mein Abendessen auf einer Parkbank machte, fühlte ich mich richtig einsam, so wie sich jemand fühlen musste, der auf der Strasse lebte. "Moi tout seul", sagt man auf Französisch, übrigens der Ursprung für den deutschen Ausdruck "mutterseelenallein". Also kehrte ich standesgemäß in eine der Altstadtkneipen ein, wo sich die Stimmung besserte, und schlug später am Abend mein Zelt neben dem "Tour Rouge" mitten in der Stadt auf. Frechheit siegt ja bekanntlich.

Schon am nächsten Abend passierte das Wunder. Ein Fußballfeld in der Nähe von Romont bot einen guten Lagerplatz mit Wasseranschluss und Biertischen als Sitzgelegenheit. Die Winterzeitumstellung hatte den Tag kürzer gemacht, und so kochte ich den feinen Linseneintopf bereits im Dunkeln. Bald darauf haute ich mich ins Zelt und las. Plötzlich hörte ich Schritte. Ein wenig erschrocken rief ich ein "Bonsoir" hinaus und kroch aus dem Zelt. "Bonsoir", tönte es zurück und ich schaute in den Schein einer Stirnlampe. Nein, es war nicht der Platzwart, sondern Pascal, ein Wanderer! Er hatte "zufällig" den gleichen Lagerplatz anvisiert. Pascal war zu Fuß von Köln gekommen und ich war der erste Wanderer, den er in den zwei Monaten getroffen hatte (so viele Fußgänger sind Mitte Oktober nicht mehr unterwegs). Die Freude war riesig und wir feierten unsere Begegnung mit einem Früchtereis. Die folgenden zwei Tage, die wir gemeinsam bis Lausanne marschierten, waren ein Riesenspaß und das Gefühl der Einsamkeit löste sich in Luft auf. Wir tauschten unsere Erlebnisse aus und feierten das schlechte Wetter mit Bier am Abend. Mit unserem Treffen war die die Magie des Weges wieder voll zurück!

Einfach lässig
WiIch habe bereits von dem Vertrauen berichtet, das ich in den letzten Monaten wieder schöpfen konnte: das Vertrauen auf die innere Stimme, auf die anderen Menschen und das Vertrauen darauf, dass auch morgen wieder alles gut sein wird. Wenn wir dieses Vertrauen entwickeln können, dann löst sich jedes Gefühl der Unsicherheit in Luft auf gibt uns den vollen Handlungsspielraum zurück. Ein fantastisches Gefühl der Freiheit und Selbstverantwortung stellt sich ein und wir werden wieder die Schmiede unseres eigenen Glücks. Bei meiner Wanderung ist diese ursprüngliche Gelassenheit zurückgekehrt, die das Leben wieder richtig "lässig" gemacht hat.

Ulrich Grober schreibt dazu in dem äußerst empfehlenswerten Buch "Vom Wandern": "Gelassenheit ist ein Schlüsselwort zur neuen Lebenskunst. Ihr Grundgedanke steckt im Wort 'lassen'. Dinge lassen, also verlassen, auslassen, loslassen, in Ruhe lassen, unversehrt lassen, geschehen lassen - das ist ein Gegenentwurf zur Lebenswelt der beschleunigten Moderne. Leben besteht nicht darin, permanent etwas zu tun. Gelassenheit ist die Weigerung, alles und jeden, sich selbst eingeschlossen, jederzeit verfügbar zu machen und verfügbar zu halten. (..) Wie jede Kunst und jedes Element der Lebenskunst bedarf die Gelassenheit der Übung. Wandern trägt nicht nur zur körperlichen Stärkung und zur Schärfung der Sinne bei. Von allen Methoden zur Einübung von Gelassenheit scheint mir der aufrechte Gang die allereinfachste". Besser kann man es nicht ausdrücken!

Momente der Verbundenheit
Wieder habe ich unzählige Menschen am Weg getroffen und kennen gelernt: Angela, die im Wohnwagen lebt und bald das Geld zusammen hat, um den Rest ihres Lebens in einem Segelboot am Mittelmeer zu verbringen; Nir und Mor, das israelische Paar, das zu Fuß die Alpen überquerte; Fredo, der lässige Bauer (noch zu haben) aus Elisried mit dem besten selbst gemachten Joghurtdrink; Carl, der UNO-Berater für Flüchtlinsbetreuung; Andres, der Homosexuellenprostituierte aus Barcelona; Liliane, Natalie und ihre weltbeste WG in Lausanne; oder Georges und Bruno aus Molestel, die verschiedener nicht sein könnten und trotzdem die besten Freunde sind. Sie alle haben mir wieder deutlich vor Augen geführt, wie unterschiedlich Menschen und ihre Vorstellungen vom guten Leben sein können. Und nichtsdestotrotz hat die Freude am Geben, am Teilen und am Gemeinsamen uns alle vereint. Obwohl wir uns vorher noch nicht gekannt haben, begegneten wir uns in Freundschaft einfach als Menschen, die wir sind. Es waren Momente der Verbundenheit.

Von der Energie dieser Momente gestärkt freue ich mich auf die kommende Zeit. Nach dem Unterwegssein genieße ich das Zuhausesein umso mehr, um mich mit Euch auszutauschen, die Erlebnisse zu reflektieren und daraus neue Ideen zu formen. Also bis bald, einstweilen wünsch ich Euch alles Gute!

Habt es lässig, Euer
Reinhold.

PS: Es kommt eine Zeit im Leben
Hier eine kleine Inspiration von Sergio Bambaren, der mir mit einem seiner Bücher eine schlaflose Nacht in Lausanne gerettet hat:

Es kommt eine Zeit im Leben,
da bleibt einem nichts anderes übrig als seinen eigenen Weg zu gehen.
Eine Zeit, in der man die eigenen Träume verwirklichen muss.
Eine Zeit, in der man endlich für die eigenen Überzeugungen eintreten muss.

Neue Welten zu entdecken wird dir nicht nur Glück und Erkenntnis,
sondern auch Angst und Kummer bringen.
Wie willst du das Glück wertschätzen, wenn du nicht weißt, was Kummer ist?
Wie willst du Erkenntnis gewinnen, wenn du dich deinen Ängsten nicht stellst?
Letztlich liegt die große Herausforderung des Lebens darin,
die Grenzen in dir selbst zu überwinden und so weit zu gehen,
wie du dir niemals hättest träumen lassen.

Durch unsere Entscheidungen definieren wir uns selbst.
Allein durch sie können wir unseren Worten und Träumen
Leben und Bedeutung verleihen.
Allein durch sie können wir aus dem, was wir sind,
das machen, was wir sein wollen.

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Einige Impressionen